#notmyJAG

Unter dem Hashtag #notmyJAG informierten wir Ende 2020 über unsere Kritikpunkte am im Herbst 2020 vorgelegten JAG-Referentenentwurf. Eine begleitende Petition gegen die vorgeschlagenen Änderungen haben 6247 Personen unterzeichnet. Damit haben wir gezeigt, dass die Änderungsvorschläge flächendeckend auf negative Resonanz gestoßen sind und noch Bedarf zur Nachbesserung besteht. Unsere Kampagnenbeiträge im Einzelnen:

1. Einführung

Am 14.09.2020 kündigte das Ministerium der Justiz NRW auf Twitter eine Reform des Juristenausbildungsgesetzes NRW an. Das letzte Mal wurde dieses Gesetz vor 17 Jahren geändert. Eine Änderung war also mal notwendig, um die Jurist:innenausbildung in NRW dem Wandel der Zeit anzupassen. Der vom Ministerium vorgelegte Entwurf erreicht dieses Ziel unserer Meinung nach nicht!

Die Änderungen aus dem Entwurf sind aus Sicht der Studierenden kaum zufriedenstellend. Zwar gibt es einige, die durchaus begrüßenswert sind, der Großteil der Änderung bedeutet aber eine deutliche Verschlechterung des Status Quo.

Das Ministerium der Justiz hat uns im Rahmen der Verbändeanhörung die Möglichkeit gegeben, Stellung zu dem Entwurf zu nehmen. Diese Möglichkeit haben wir genutzt und mit unseren Mitgliedsfachschaften eine Stellungnahme erarbeitet.

2. Zulassungsvoraussetzungen 

In der geplanten Änderung des Juristenausbildungsgesetzes in Nordrhein-Westfalen soll § 7 JAG NRW, welcher die Zulassungsvoraussetzungen für die erste Prüfung regelt, erweitert werden.  

Zusätzlich zu den bereits bestehenden Anforderungen soll ein Nachweis erbracht werden, dass die Bewerberin oder der Bewerber fünf Aufsichtsarbeiten und fünf häusliche Arbeiten, davon jeweils eine im Zivilrecht, Strafrecht und öffentlichen Recht, angefertigt hat. Dadurch sollen bei den Studierenden wissenschaftliche und inhaltliche Kompetenzen gefördert werden.  

Dieser Mehraufwand für die Studierenden müsste aber durch die Streichung anderer Prüfungsleistungen, insbesondere von Aufsichtsarbeiten, kompensiert werden. Die dort erlernten Fähigkeiten sind jedoch essenziell für die staatliche Pflichtfachprüfung. 

Ein solcher Nachweis wird darüber hinaus in keinem anderen Bundesland gefordert. Durch eine solche Vorgabe könnten viele Studierende von einem Wechsel nach Nordrhein-Westfalen zur Ablegung des Staatsexamens abgeschreckt werdenDie durch den Gesetzesentwurf angestrebte bundesweite Mobilität der Studierenden würde somit ins Gegenteil verkehrt. 

Daher fordern wir das Absehen von einem Nachweis über fünf häusliche Arbeiten oder, sollte ein solches Erfordernis beibehalten werden, die Reduzierung auf drei häusliche Arbeiten, davon jeweils eine je Rechtsgebiet.

3. Zwischenprüfung

In Zukunft wird verlangt, dass die Studierenden zum Erhalt der Zwischenprüfung in allen drei Rechtsgebieten jeweils eine dreistündige Aufsichtsarbeit absolvieren müssen. Das im JAG-Entwurf vorgesehene Modell einer „echten“ Prüfung als Zwischenprüfung wird dazu führen, dass die Fakultäten ihre bisher etablierten Studienmodelle von Grund auf ändern müssen. Gerade diese Modelle sind bei uns Studierenden jedoch beliebt, da sie uns anhalten, bereits im Grundstudium erste Kenntnisse in allen Bereichen des Pflichtfachstoffs zu erwerben. 

Darüber hinaus ist es unverständlich, wieso nicht der gesamte Pflichtfachstoff zum Gegenstand der Zwischenprüfung gemacht wird, sondern nur ein Teil davon. Die ausgeklammerten Fächer dürfen gar nicht Teil der Zwischenprüfung sein, sodass wir befürchten, dass diese dennoch wichtigen Rechtgebiete (u.a. Arbeitsrecht, Verwaltungsprozessrecht und Zivilprozessrecht) vielen von uns in Zukunft erst im Repetitorium begegnen werden. Das ist aber viel zu spät, sodass gerade in diesen Bereichen schlechtere Ergebnisse in den Examina drohen. 

Das größte Problem ist jedoch die Gewichtung der einzelnen Rechtsgebiete innerhalb der Zwischenprüfung: dadurch, dass in jedem der drei Bereiche gleich viele Leistungen gefordert werden, verkennt man völlig die unterschiedlichen Umfänge der einzelnen Rechtsgebiete. Die fehlende Beachtung der Grundlagenfächer wird zudem dazu führen, dass diese wichtigen „Basics“ zukünftig wohl kaum mehr eine Rolle spielen werden. 

4. Unberücksichtigte Aspekte

Zukunftsträchtige Modelle wie ein integrierter Bachelorabschluss für die Ablegung von Grundstudium und Schwerpunktstudium, der bei der Expertenanhörung im Landtag weitgehend befürwortet wurde und in Berlin und Brandenburg bereits enthalten ist, werden vom Gesetzentwurf nicht einmal angesprochen. Ein zukunftsträchtiges Studium erfordert jedoch, bei Beibehaltung des Staatsexamens als Masteräquivalent eine diesem vorgelagerte Zwischenebene zu schaffen, die über die bloße Zwischenprüfung nach aktueller Praxis hinausgeht.

Mit Unverständnis haben wir zudem zur Kenntnis genommen, dass der vorliegende Gesetzesentwurf jegliche Bestrebungen zur Digitalisierung der Juristenausbildung nicht beachtet, indem die elektronische Anfertigung der Aufsichtsarbeiten (ugs. „E-Klausur“) mit keinem Wort erwähnt wird. Eine entsprechende Öffnungs- bzw. Experimentierklausel ist im Entwurf nicht enthalten.

Die zukünftige Möglichkeit, für das Engagement in studentischen Rechtsberatungen ein Freisemester zu erhalten, begrüßen wir. Dennoch bleiben sonstige Qualifikationsangebote weiterhin vernachlässigt. Der Umfang des Pflichtfachstoffes erlaubt jedoch keine Zeiteinbußen, wenn man den Freiversuch wahrnehmen möchte. Daher fordern wir, dass grundsätzlich alle juristischen Qualifikations- und Weiterbildungsangebote, die an der Universität angeboten werden, mit einem Freisemester honoriert werden. Hierdurch würden die Studierenden motiviert, sich auch abseits des Pflichtfach- und Schwerpunktstoffes akademisch fachbezogen weiterzubilden. Die Wahrnehmung derartiger Angebote kommt daher allen Seiten zugute, da neben den offensichtlichen Vorteilen für die Studierenden auch ihre zukünftigen Arbeitsgeber auf fachlich breit aufgestellte und vielseitig gebildete Menschen treffen würden.

5. Übergangsfrist 

Die geplanten Änderungen sollen drei Monate nach der Verkündung der Gesetzesänderung in Kraft treten, Art. 2 Abs. 1 JAG-E. Dieser Zeitraum soll erforderlich sein, damit die nötigen administrativen Schritte der Landesverwaltung und der Universitäten durchgeführt werden können. Bedenkt man dabei die wichtige, aber auch zeitaufwendige demokratische Mitwirkung in der akademischen Selbstverwaltung erscheint eine Reaktion der Hochschulen innerhalb dieser drei Monate unmöglich.  

Man muss den Universitäten genügend Zeit geben, um neue Konzepte zur Bewältigung der geplanten Änderungen und Anforderungen an die Zwischenprüfung und der Schwerpunktprüfung zu erarbeiten und dabei die verschiedenen Personengruppen, universitären Gremien und schließlich das Ministerium zu beteiligen. Daher muss die Frist bis zum Inkrafttreten der neuen Regelungen mindestens 24 Monate betragen, um allen Beteiligten Gehör zu verschaffen und geeignete Lösungen zu finden. 

Art. 2 Abs. 2 JAG-E sieht eine Frist von insgesamt 15 Monaten (3 Monate bis zum Inkrafttreten und 12 Monate Übergangsfrist) vor. Das heißt auch: nur 15 Monate, um sich auf komplett andere Gegebenheiten für das eigene Examen einzustellen. Der Entwurf verkennt dabei, dass das juristische Studium auf fünf Jahre angelegt ist und eine umfassende Studienplanung bereits Jahre im Voraus erfolgen muss. Spätestens zu Beginn der Examensvorbereitung, welche oft 12 bis 18 Monate in Anspruch nimmt, besteht ein berechtigtes Vertrauen der künftigen Prüflinge, den Prüfungsstoff und die Meldevoraussetzungen zu kennen.  

Angemessen ist daher eine Regelung, die vorsieht, dass für Studierende, die vor Inkrafttreten des Gesetzes oder innerhalb von 24 Monaten (= neue Übergangsfrist) nach Inkrafttreten des Gesetzes ihr Studium aufgenommen haben und sich bis spätestens fünf Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes zur staatlichen Pflichtfachprüfung gemeldet haben, die Regelungen des JAG in der bisherigen Fassung Anwendung finden.

6. Abschichtung

Mit Einführung des neuen JAG soll auch die Möglichkeit der Abschichtung abgeschafft werden. Das Ministerium der Justiz begründet dies unter anderem damit, dass Personen, die das Abschichten wahrnehmen, jedes Rechtsgebiet für sich lernen würden (und eben nicht „alles zusammen“), was nicht dem Studienkonzept entspräche. Dies trifft in den allermeisten Fällen jedoch überhaupt nicht zu. In der Regel studieren die betroffenen Personen „ganz normal“ und durchlaufen auch ein vollumfängliches Repetitorium. Erst kurz vor den Klausuren konzentrieren sie sich auf das jeweilige Rechtsgebiet und absolvieren alle sechs Klausuren innerhalb weniger Monate, meistens innerhalb eines Examenssemesters. 

Darüber hinaus verkennt das Ministerium völlig die Bedeutung der Abschichtung für die psychische Gesundheit von uns Studierenden. Gerade diejenigen, die sich einer Blockprüfung mit sechs Klausuren innerhalb von knapp zwei Wochen nicht gewachsen fühlen, können durch das Abschichten den Leistungsdruck reduzieren. Fallen hierdurch Prüfungsängste weg, kann auch davon ausgegangen werden, dass am Ende bessere Ergebnisse erzielt werden. Das kommt nicht nur den betroffenen Personen zugute, sondern auch der späteren Arbeitsgeberseite. 

Das Abschichten war bisher ein Standortvorteil für NRW. Sofern das Ministerium der Justiz eine bundesweite Vereinheitlichung anstrebt, so sollte es diesen Vorteil nicht aufgeben, sondern stattdessen die anderen Bundesländer davon überzeugen, ebenfalls das Abschichten einzuführen. 

7. Verbesserungsversuch

Wir begrüßen, dass § 26 Abs. 1 JAG-E eine Notenverbesserung in der staatlichen Pflichtfachprüfung nun für alle Studierenden vorsieht. Mit Unverständnis haben wir jedoch die Regelung des § 65 Abs. 2 Nr. 1 JAG-E zur Kenntnis genommen.

In der Gesetzesbegründung wird ausdrücklich klargestellt, dass dieser Verbesserungsversuch mit Kosten verbunden sein soll. Bereits jetzt aber verursachen die Länge des Studiums, der hohe Bedarf an Literatur sowie Gesetzestexten und der weiterhin häufig verbreitete Besuch eines kommerziellen Repetitoriums zu hohen Kosten im Vergleich zu anderen Studiengängen. Dadurch wird das Jurastudium bereits jetzt nicht zu Unrecht als „Elitenstudium“ wahrgenommen.

Wir sehen in der Gebührenbelastung eine Diskriminierung von Personen, die aus finanziell schwächeren Verhältnissen stammen. Diese müssen bereits jetzt aufgrund der Länge und Kostenintensität des Jurastudiums überlegen, ob sie dieses tatsächlich aufnehmen. Treffen sie diese Entscheidung, sehen sie sich in aller Regel gezwungen, zur Finanzierung des Studiums nebenbei zu arbeiten, sodass sie für ihr Studium mehr Zeit benötigen. Ist der Verbesserungsversuch neben den ohnehin enthaltenen Kosten für die Anschaffung aktueller Gesetzestexte auch noch mit Gebühren verbunden, würde die soziale Ungleichheit im Studium weiter verschärft. Ferner steht zu befürchten, dass sozial schwächere Studierende aufgrund der Gebührenlast weiterhin dazu verleitet würden, sich ohne ausreichende Vorbereitung vorschnell zum Freiversuch zu melden, um sich den kostenlosen Verbesserungsversuch zu sichern. Finanziell bessergestellte Studierende hätten diese Sorge nicht.

In diesem unterschiedlichen Hintergrund könnte sich letzten Endes eine Benachteiligung sozial schwacher Studierender in der Examensnote ergeben. Der Verbesserungsversuch ist daher für alle Studierenden kostenfrei zu gewähren. 

8. Prüfungsgewichtung 

§ 18 JAG-E sieht vor, dass künftig die Aufsichtsarbeiten jeweils mit 10,83 %, der Vortrag mit 10 % und das Prüfungsgespräch mit 25 % zu gewichten sind.

Hintergrund dieser Änderung ist eine geplante bundesweite Vereinheitlichung der Wertigkeiten. Wir halten diese Änderung allerdings nicht für notwendig, um eine bundesweite Vereinheitlichung der Wertigkeiten zu schaffen. Im Gegenteil entfernt sich Nordrhein-Westfalen damit vom Korridor, den der Koordinierungsausschuss vorgegeben hat. Der Koordinierungsausschuss hat festgelegt, dass die mündliche Prüfung eine Wertigkeit von 30 – 36 % an der Gesamtnote haben soll.

Die Gesetzesbegründung weist zutreffend darauf hin, dass der Vortrag eher mit einer Aufsichtsarbeit als mit der mündlichen Prüfung vergleichbar ist. Angesichts der fehlenden Möglichkeit für die Prüfenden, Nachfragen zu stellen und der vorgegebenen gutachterlichen Falllösung teilen wir diese Einschätzung. Wird der Vortrag allerdings als solche Prüfungsleistung sui generis angesehen, die mit einer Aufsichtsarbeit vergleichbar ist, sollte er auch wie eine siebte Aufsichtsarbeit bewertet und für die Gewichtung der mündlichen Prüfung nicht berücksichtigt werden.

Hinzu kommt, dass gerade die Hochwertigkeit des nordrhein-westfälischen Examens, das drei verschiedene Prüfungsleistungen vorsieht, den befürchteten Anerkennungsproblemen in anderen Bundesländern vorbeugen sollte. Die Bewertung des Prüfungsgesprächs mit 30 % entspricht jedoch der Wertigkeit, die auch Bayern nach der Änderung ihrer JAPO vorsehen wird. Es bestehen somit keine Ungleichheiten, sodass die Wahrung einer bundesweit einheitlichen Gewichtung des Prüfungsgesprächs gerade die Beibehaltung der Wertigkeit von 30 % in Nordrhein-Westfalen verlangt.

Aus den dargelegten Gründen fordern wir eine Beibehaltung der bisherigen Gewichtung der drei Prüfungsteile.

9. Schwerpunktstudium 

Die mit § 28 Abs. 3 JAG-E vorgenommene Eingrenzung des Schwerpunktstudiums auf eine Aufsichtsarbeit, eine häusliche (Seminar-)Arbeit und eine mündliche Prüfung widerspricht den meisten aktuellen Schwerpunktmodellen. Sie zwingt die nordrhein-westfälischen Fakultäten dazu, ihr derzeit bestehendes, häufig modularisiertes Schwerpunktangebot massiv umzustrukturieren.

Uns ist bewusst, dass sich die verschiedenen Modelle im Schwerpunktstudium bundesweit in den letzten Jahren stark auseinanderentwickelt haben. Diese fehlende Einheitlichkeit führt derzeit zu massiven Akzeptanzproblemen für den Schwerpunkt. Als Möglichkeit, sich abseits der klassischen Falllösung vertieft mit einem Thema auseinanderzusetzen, bildet der Schwerpunkt jedoch einen wichtigen Teil unseres Studiums.

Im Interesse, den Schwerpunkt in seiner derzeitigen Wertigkeit von 30 % der Gesamtnote zu erhalten, erkennen wir die Notwendigkeit bundeseinheitlicher Vorgaben, die es zu schaffen gilt. Nichts desto trotz ist uns wichtig, den Fakultäten die Möglichkeit einzuräumen, anstelle einer mündlichen Prüfung eine weitere Aufsichtsarbeit vorzusehen, um so zumindest an die bewährten Modelle anknüpfen zu können.

Darüber hinaus lehnen wir eine Begrenzung des Umfangs auf 14 Semesterwochenstunden (SWS) ab, da der Schwerpunkt in der Praxis zumeist 16 – 18 SWS umfasst. Der Vorschlag einer Begrenzung auf 14 SWS hängt mit der vorgeschlagenen Abwertung des Schwerpunkts auf 20 % der Gesamtnote zusammen, die zurecht nicht weiterverfolgt wurde. Sie zeugt zudem von einer überhöhten Fokussierung auf den Pflichtfachstoff. Diese Fokussierung verkennt jedoch die Wichtigkeit einer Spezialisierung, um auf dem späteren Arbeitsmarkt gute Chancen zu haben.